Kaum war ich am nächsten Morgen erwacht, schossen die Erinnerungen blitzartig durch meinen Kopf. Der Streit mit meinem Freund, das Maya, Adamo und Fabrizio. Behutsam zupfte ich an meiner Lippe. Erfreut darüber, dass die Schwellung etwas zurückgegangen war, begann ich meine Gedanken auf die Kreditkarte zu richten. Mir fiel auf, dass ich sie noch sperren musste. Behutsam stand ich auf.
Und was war mit der Suite? Er hatte sie für drei Tage gebucht, was bedeutete, dass ich mein Märchenschloss noch heute verlassen musste. Schmollend lief ich ins Bad und öffnete den Hahn. Draußen ließ ein Sturm die Bäume bedrohlich tanzen und die Regentropfen immer wieder gegen die Fensterscheiben prasseln. Ich liebte es, bei genau dieser Art von Schauspiel in die heiße Wanne zu steigen und der Natur hinter einer gläsernen Wand wie dieser Gesellschaft zu leisten.
Wie kalt es wohl draußen war und schaute in den für diese Tageszeit viel zu dunklen Firmament. Ein Schauer begann über meinen Rücken zu laufen. Ich holte noch einmal tief Luft, dann tauchte ich ab.
Unsere Liaison war nun also endgültig vorbei. Gedankenversunken starrte ich an die Decke. Von mir aus konnten sie kommen, die Tränen. Doch weder Trauer noch Freude wollten meiner Gleichgültigkeit etwas entgegen setzen. Es musste doch etwas geben. Irgend etwas.
Dass es vorbei war, wusste ich nicht erst seit diesem Wochenende. Weshalb war ein Mensch dazu im Stande, etwas in seinem Bewusstsein anzunehmen, was in der Realität überhaupt noch nicht eingetreten war?
Nachdem ich aus der Wanne gestiegen war, rief ich American Express Deutschland an und sperrte meine Karte. Ich teilte der Dame am Telefon mit, dass ich mich in Amsterdam befand und umgehend einen Ersatz benötigte. Sie sicherte mir zu, dass sich ein Reisebüro von American Express Niederlande innerhalb der nächsten 24 Stunden mit mir in Verbindung setzen würde. Ich traute meinen Ohren nicht. Innerhalb von wie viel Stunden? Das Wort Express hielt ich in diesem Zusammenhang für völlig absurd. Ich gab ihr meine Telefonnummer und legte auf. Das Telefon noch in der Hand dachte ich nach. Warum nicht einfach noch eine Nacht bleiben und zog mich an.
Bevor ich mich dem Concierge anvertraute, schaute ich nach meinem Pagen. Bei meinem Glück hatte er seit heute Urlaub und brach in diesem Moment zu einer Weltumsegelung auf.
Pluto, der Concierge, empfing mich in seinem Büro und bat mich, Platz zu nehmen. Immer wieder musste ich auf sein Namensschild schauen. Stand dort wirklich Pluto und lachte los.
„Wie kann ich Ihnen helfen.“, stimmte er gleichfalls lachend ein, ohne auch nur im Geringsten wissen zu können weshalb.
„Mein Freund und ich wohnen in der Suite 26. Das heißt mittlerweile wohne nur noch ich in der Suite. Mein Freund ist gestern Mittag unverhofft abgereist. Ich kann ihn leider nicht erreichen und frage mich nun, wie lange er die Suite gebucht hat.“, begann ich meine Taktik Stück für Stück aufzubauen.
Pluto zeigte sich sehr interessiert und leckte mir freudestrahlend die Hände. Naja, zumindest stellte ich mir das zwischenzeitlich so vor. Während er etwas in seinen Computer tippte, wechselte sein Blick zwischen Bildschirm und mir.
„Bis heute“, entgegnete er mit einem Mal.
„Bis heute.“, wiederholte ich seine Worte in dem Versuch, so überrascht wie möglich zu klingen.
„Stimmt irgendetwas nicht?“
„Pluto, ich habe ein Problem.“
Ich erzählte ihm von dem Diebstahl meiner Handtasche und davon, dass ich meinen Aufenthalt in der Suite um eine weitere Nacht verlängern wollte.
„Ich schaue gleich einmal nach, doch ich befürchte, dass die Suite ab heute Nachmittag bereits wieder vergeben ist. Wir haben zurzeit die Nutzfahrzeugmesse, die Gartenbaufachmesse und eine Kunstmesse in der Stadt, um nur die größten Veranstaltungen zu nennen.“
Hatte ich ein Glück, dass er sie nicht alle aufzählte. Selbst wenn ein Hotel bekannt gab, ausgebucht zu sein, war doch in der Regel immer noch das ein oder andere Zimmer frei. Wie gesagt in der Regel.
„Es tut mir sehr leid aber wie ich schon angedeutet habe, die Suite ist bereits wieder reserviert.“, wiederholte er seine Worte, nachdem er noch einmal in seinem Monitor geblättert hatte. Mit meinem Insiderwissen setzte ich erneut an.
„Hören Sie zu, Pluto. Ich würde jetzt nicht vor Ihnen sitzen, wenn man mir vor zwei Tagen nicht meine Kreditkarte gestohlen hätte. American Express hat mir zugesichert, innerhalb von vierundzwanzig Stunden Ersatz zu verschaffen. Davon sind jetzt gerade einmal anderthalb Stunden um und schaute demonstrativ auf meine Uhr. Ich kenne sonst niemanden in Amsterdam, mit Ausnahme von ihnen. Ich benötige also für die verbleibenden zweiundzwanzigeinhalb Stunden ein Zimmer. Wenn es um die Rechnung geht, kein Problem. Buchen sie das Zimmer sofern möglich einfach auf die Rechnung der Suite. Sollte ihnen das nicht zusagen, in zweiundzwanzigeinhalb Stunden halte ich meine neue Kreditkarte in den Händen und bin in der Lage, das neue Zimmer selbst zu bezahlen. Ich wäre ihnen zutiefst verbunden, wenn sie für mich ein Zimmer finden. Ein Zimmer, hier in ihrem wunderschönen Hotel.“
Sollte er bei seiner Meinung bleiben, würde ich schreien. Ich brauchte dringend eine Zigarette.
„Es tut mir sehr leid, so gerne ich Ihnen auch helfen möchte. Es geht nicht um die Bezahlung. An ihrer Solvenz habe ich nicht den geringsten Zweifel. Ich sehe einfach keine Möglichkeit, sie hier in diesem Hotel unterzubringen. Wir sind restlos ausgebucht.“
„Bestünde die Möglichkeit, in einem anderen Hotels nachzufragen?“, formulierte ich mein Unverständnis, diese Idee nicht seine eigene nennen zu können.
„Diese Verfahrensweise entspricht leider nicht unseren Gepflogenheiten.“
Erkannte ich in seinen Augen so etwas wie Trotz? Mitleid war es jedenfalls nicht und stand auf. Ich schaute ihn enttäuscht an und verließ, ohne ein weiteres Wort an ihn zu richten, sein Büro.
Ich schaute auf die Uhr. Halb drei. Auf dem Weg zum Fahrstuhl erkannte ich plötzlich meinen Pagen, der hinter einer Tür mit der Aufschrift Service verschwand. Anscheinend doch kein Urlaub und rannte hinterher.