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Märzgeburt /// Allein

Neugierig erfasste ich alles Hörbare. Lediglich mit Bettdecke umhüllt, stand ich auf und verließ das Schlafzimmer. Dass mich absolute Dunkelheit umgab, zeigte mir, dass es draußen bereits wieder dunkel war. Ich öffnete ein Fenster und schaute auf die vorbeifahrenden Boote. Wie gut die Luft roch und versuchte mir zu erklären wonach. Ich setzte mich aufs Fensterbrett und zündete mir eine Zigarette an.
Während ich an ihr zog, spürte ich meine geschundene Lippe. Wie ich wohl aussah und blinzelte in das spiegelnde Glas. Nichts zu erkennen, wohl wissentlich, dass ein richtiger Spiegel etwas Anderes zum Vorschein brachte und berührte mit einem Finger vorsichtig den Mund. Als ich die aufgerissene Stelle erreichte, zuckte ich schmerzerfüllt zusammen. Verdammt dachte ich und ließ blitzschnell wieder von mir ab. Mir wurde schlecht. Die Frage war nur, vor Hunger oder diesem nach wie vor pochenden Schmerz?


„Einmal gebeizter Hirschrücken mit Apfelmeerrettich und Cipriani Nudeln mit weißem Alba Trüffel.“
Bevor ich das Gespräch beendete, fragte ich, ob für mich irgend etwas hinterlassen wurde und dachte im selben Moment an meine Clutch.
Kurz nach halb elf sprach ich in Gedanken, unterdessen ich auf die Standuhr im Wohnzimmer sah. Weshalb war ich eigentlich noch immer allein? Ungeduldig nahm ich mein Handy und wählte seine Nummer. Alles was ich daraufhin in Erfahrung bringen konnte, war der Umstand, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht zu erreichen war. Frustriert warf ich das Handy auf die Couch.
Unterdessen ich auf das Essen wartete, ließ ich meinen Blick schweifen. Wohin ich auch schaute, seine Sachen waren alle weg. Schnell lief ich ins Badezimmer. Nichts. Und auch ins Schlafzimmer. Nichts.
War er abgereist? Einfach so, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen? Ich war so gut wie mittellos und dachte augenblicklich erneut an meine Clutch. Mein innerer Aufruhr wurde mit einem Mal durch ein Klopfen unterbrochen. Ich begab mich zur Tür und schaute durch den Spion. Du hast mir gerade noch gefehlt, sagte ich zu mir und öffnete meinem Pagen die Tür.
„Ihre Bestellung Madame.“
„Ihre Bestellung Madame.“, imitierte ich ihn affektiert nach.
„Weshalb so förmlich?“, schoss ich hinterher.
„Gebeizter Hirschrücken mit Apfelmeerrettich und Cipriani Nudeln mit weißem Alba Trüffel.“, antwortete er von meiner Laune offenbar unbeeindruckt und hob die silberne Glocke des gastronomisch überaus ansprechenden Arrangements. Neugierig schaute er sich um.
„Bist Du allein?“
„Ich wollte heute Abend mit Dir essen und dachte mir, dass Dir Hirschrücken und Trüffel vielleicht schmecken. Ja, ich bin allein.“
Genervt verdrehte ich die Augen.
„Die Rezeption hat Dir nicht zufällig etwas mitgegeben?“
„Was meinst Du?“
„Hat sie oder hat sie nicht?“, setzte ich ungeduldig nach.
„Nein. Hat sie nicht.“
„Verdammter Idiot.“, sprang es plötzlich aus mir heraus.
„Wie bitte?“, fragte er sichtlich gekränkt.
„Nein. Nicht Du. Ich meine nicht Dich.“, versuchte ich mich zu erklären.
„Denkst Du noch an unsere Verabredung? Ich meine jetzt, da Dein Freund abgereist ist, wäre es doch…“
Ich ließ ihn nicht weiterreden.
„Kannst Du das bitte noch einmal wiederholen?“
„Ich meine unsere Verabredung. Es wäre…“
„Nein.“, unterbrach ich ihn erneut.
„Ich meine das, was Du danach gesagt hast. Du erwähntest irgend etwas von Abreise und Freund.“
Dass sich beide Wörter in einem Satz befanden, gefiel mir alles andere als gut.
„Er ist abgereist. Heute Mittag. Sag bloß, dass Du nichts davon weißt.“
Vollkommen teilnahmslos setzte ich mich, die Bettdecke nach wie vor um mich geschlungen, wie ein Michelin-Männchen auf die Couch. Also doch. Benommen stand ich wieder auf und wankte zum Fenster. Ich nahm eine weitere Zigarette und zündete sie an.
„Nanu? Was ist denn das?“, verkündete der Page plötzlich freudestrahlend und zog einen Umschlag wie von Zauberhand unter dem Servierwagen hervor. Entgeistert schaute ich ihn an.
„Warum hast Du mir das nicht gleich gegeben?“.
Schnell eilte ich auf ihn zu.
„Was ist Dir denn über die Leber gelaufen?“, versuchte er meine unausgeglichene Art irgendwie zu verstehen.
Unterdessen er über mein Verhalten grübelte, begann ich mich zu fragen, wem ich diese Sendung zu verdanken hatte und dachte im selben Augenblick wie im Zeitraffer an den vergangenen Abend zurück. Schnell führte mich mein Blick wieder auf das Kuvert. Sowohl Vorderseite, als auch Rückseite waren leer. Stück für Stück begann ich den Umschlag zu öffnen. In ihm befand sich eine DVD!
 
 
„Wenn Du herausfinden möchtest was drauf ist, leg sie doch einfach in den Player?“, unterbrach er meine Gedankengänge. Mein Blick wechselte zwischen DVD und ihm, schlussendlich auf ein mehr und mehr ungutes Gefühl.
„Ich glaube es ist besser, wenn Du jetzt gehst.“
„Bist Du sicher, dass Du mit der Anlage zurecht kommst? Sie ist ziemlich kompliziert und…“
Mein strafender Blick ließ ihn abrupt enden.
„Dann zeige mir doch einfach, wie Du diese scheinbar unüberwindbare Hürde löst.“
„Das nennst Du kompliziert?“, antwortete ich mit hochgezogenen Augenbrauen sobald der Bildschirm flimmerte von seinem Bluff überaus genervt.
Kaum hatte er auf Start gedrückt, füllte sich der Raum mit Musik. Der einsetzende Klang wirkte fern und irgendwie verzerrt, doch anstatt mir darüber weiter im Klaren zu werden, verschwand mit dem einsetzenden Bild jede weitere Überlegung im Nirgendwo.
Den Bildern neugierig folgend, erkannte ich Adamo, erkannte ich mich, erkannte ich neben mir den Pagen, der sich augenblicklich in einem hemmungslosen Exzess wiederfand.
Die akustische Wahrnehmung fortan unbeachtet lassend, konzentrierte ich mich auf meine Augen, die mit einem Mal immer dichter kamen. Spiegelten sie pures Verlangen oder eher Unsicherheit und gestand mir ein, ein derartiges Erlebnis reflektierte man definitiv besser allein. Ein lustvolles Stöhnen, die Kamera schwenkte durch den Raum, Fabrizio, der urplötzlich mit meinem Kleid im Dunkeln verschwand.
„Trink noch etwas Champagner.“, hörte ich jemanden aus dem Hintergrund sprechen, kurz bevor sich die prickelnde Flüssigkeit über mich ergoss. Ich sah mich panisch aufspringen, sah mich hüllenlos rennen, sah wie der Film abrupt endete, spürte umgehend Hitze und Röte in meinem Gesicht.
Totenstille. Niemand traute sich etwas zu sagen, geschweige denn den anderen anzuschauen. Ich versuchte zu begreifen, weshalb ich, nein, weshalb wir das beide soeben gesehen hatten und zündete mir eine weitere Zigarette an. Wie im Sturzflug rannte ich ins Bad, hob den Toilettendeckel und wartete auf das was da einfach nicht kam.

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