„Wo warst Du? Wir hatten eine Verabredung!“, schrie mich Oscar wutentbrannt an. Kleine Schweißtropfen in seinem Gesicht verrieten mir sein derzeitiges, unglaublich strapaziöse Empfinden. Als wolle er mich zu einem Zweikampf herausfordern, kam er Stück für Stück näher. Alles was ich ihm entgegnen konnte, war die Bitte, sich zu beruhigen und drängte mich an ihm vorbei.
„Ich will mich aber nicht beruhigen!“, schrie er mir sofort hinterher. Mit jedem weiteren Moment schien seine Wut ins Unermessliche zu steigen.
„Könntest Du Dein Problem ein wenig dezenter gestalten?“, kommentierte ich seine laute Art. Schließlich waren wir nicht zu Hause, sondern in einem Hotel.
„Mein Problem? Mein Problem? Alles was gestern Abend schief gelaufen ist, habe ich Dir zu verdanken! Dir und Deiner Unpünktlichkeit. Deiner Unfähigkeit. Deiner Gleichgültigkeit. Du bist mein Problem! Wo warst Du?“
Mit einer Hand erfasste er mein Kinn und drückte es nach oben.
„Warum konntest Du nicht pünktlich sein? Wir haben so oft darüber geredet. Gerade, weil Du gestern Abend nicht das erste Mal zu spät gekommen bist! Das Einzige um was ich Dich an Abenden wie diesen bitte, ist diese verdammte Pünktlichkeit! Mehr nicht! Ich stand da wie ein Idiot! Wo kommst Du jetzt her?“
Sein Körper begann förmlich zu beben. Ich schaute ihn an, brachte jedoch keinen einzigen Ton heraus. Ich konnte ihm nicht erklären, wo ich war oder was ich getan hatte. Ich wusste nicht einmal, ob ich es meiner besten Freundin anvertrauen wollte.
„Ich weiß, dass Du Dich an Abenden wie diesen lediglich als Mittel zum Zweck siehst, doch kannst Du es in Momenten wie diesen nicht einfach akzeptieren?“
Völlig desinteressiert starrte ich ihn an. Das Ausmaß seiner Selbstdarstellung ließ mit einem Mal absurde Gedanken entstehen und ein weiteres schmerzhaftes Intermezzo heraufbeschwören. Schmunzelnd erinnerte ich mich an die Worte meines Retters.
„Kennst Du Popeye?“, fragte ich in dem unmittelbaren Versuch, seine Überzeugungen der Lächerlichkeit preiszugeben.
„Popeye? Wie um alles in der Welt kommst Du jetzt auf Popeye?“
„Wenn Du Dich sehen könntest. Du benimmst Dich gerade wie eine Figur aus Popeye.“, und begann müde zu lächeln. Sofort nachdem ich die Worte ausgesprochen hatte, spürte ich seine längst erwartete Hand. Sie traf mich mit solch einer Wucht, dass ich rückwärts auf den Boden fiel. Obwohl er mich gerade einmal mehr gedemütigt hatte, spürte ich so etwas wie Sicherheit und erinnerte mich an die weitaus diffizilere Situation im Treppenhaus des Paradiso. Ich dachte augenblicklich an meinen Mr. Incredible, der mich zwar unterwegs aus dem Auto geworfen, doch alles in allem vor Adamo gerettet hatte und lächelte einmal mehr in den langsam pochenden Schmerz. Ich wusste, dass er nun nicht erscheinen würde, um mich zu retten, wusste aber auch, dass an dieser Stelle für solch einen Helden überhaupt kein Platz war. Zusammengekauert blieb ich am Boden sitzen. Die Arme fest um meine Beine geschlungen. Nicht der Schmerz in meinem Gesicht sorgte dafür, dass sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich war ein tapferes Mädchen. Der Grund lag viel mehr in der Geborgenheit, nach der ich mich in diesem Moment so sehr sehnte. Erst nachdem er die Suite verlassen hatte, stand ich auf und ging ins Schlafzimmer.
Ich warf mich aufs Bett und rollte mich zusammen. Die Intensität der Einsamkeit wuchs mit einhergehender Müdigkeit und legte sich wie ein Schleier über meinen Körper. Nur langsam konnte ich mich von meinen quälenden Gedanken lösen und fiel in einen unruhigen Schlaf.