Mit allem hatte ich gerechnet. Mit einem Bordell, mit einem Hotel aber nicht mit einer Kirche. Eine unüberschaubare Menschenmenge zierte den Eingang und kündigte den Stellenwert des Paradiso im Amsterdamer Nachtleben an. Sobald wir aus der Limousine gestiegen waren, wurden wir von Türstehern und wartenden Gästen gleichermaßen registriert. Schnell zogen mich meine Begleiter in ihre Mitte und manövrierten mich zum reich verzierten Tor. Ohne auch nur einen Moment warten zu müssen, betraten wir, das Bild der weit nach oben ragenden Gotik hinter uns lassend, den blasphemisch anmutenden Club.
Kaum hatten wir den Vorraum passiert, wurden wir augenblicklich später von unzähligen Lasern berührt. Von außen gar nicht so groß erscheinend, offenbarte sich mir im Inneren der Kirche ein stattliches Schiff. Neben den Höhen und Tiefen der elektronischen Melodien schlugen die Bässe mit voller Wucht gegen meinen Körper. Als ich nach oben schaute, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Unzählige als Engel mit schneeweißen Flügeln verkleidete Tänzer schwebten auf winzig kleine Podeste über der zelebrierenden Gesellschaft und schienen schützend Obacht zu geben. Mit jedem neu geschwungenen Augenschlag erkannte ich neue, ungeduldige Menschen, die versuchten, einen Platz zu erreichen, nur um ihn wenige Augenblicke später wieder aufzugeben. Auf einer Kuppel entdeckte ich schließlich den Dj, der mit dramatisch anmutendem Verhalten die kommenden Höhen und Tiefen seiner Klangwelt ankündigte. Ein Schauspiel sondergleichen.
Meine begeisternden Blicke wurden mit einem Mal von Fabrizio unterbrochen und in eine bestimmte Richtung gelenkt. Ein Engel mit übergroßen Flügeln bahnte sich seinen Weg durch die Menge direkt auf uns zu. Freudestrahlend blieb ich stehen. Schließlich kam er immer näher, so nah, dass die Flügel in Kürze im Begriff waren, meinen Körper zu berühren.
Als er gleich darauf direkt vor mir stand, schaute ich auf wundersame Weise in ein bezaubernd mädchenhaftes Gesicht. Gleich umarmt sie mich und schwebt mit mir davon, sponn ich mir im Zuge einer überspannten Phantasie wohlwollend zurecht. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gebracht hatte, umarmte sie mich tatsächlich, sorgte sie dafür, dass sie mich mit ihren Flügeln einem Käfig gleich vollständig umgab. In dem Moment in dem ich mich wieder von ihr lösen wollte, umfasste sie mein Gesicht und begann mich zu küssen.
Ohne auch nur den geringsten Widerstand leisten zu können, ließ ich es zu, spürte ich, wie ich das Erlebte in einen unbeschreiblich ekstatischen Zustand münden ließ.
Nachdem sie kurz darauf wider Erwarten von mir abließ, schob sie sich, ihren Flirt mit anhaltend auf mich gerichteten Blicken vollendend, behutsam an mir vorbei.
„Willkommen in Amsterdam.“, schrie mir Fabrizio mit einem Mal ins Ohr und nahm mich an die Hand.
Meine Hand fest in seinem Griff führte er mich geradewegs zu einem Lift. Kaum hatten sich die Türen des gläsernen Aufzugs geschlossen, wurde es mit einem Mal leiser, je höher wir fuhren, augenblicklich dunkler. Unterdessen ich meine Blicke gedankenversunken über das Gedränge schweifen ließ und nach meinem Engel suchte, spürte ich urplötzlich Fabrizio dicht an mir dran.
Mit dem Betreten des Reiches scheinbar Privilegierter begann absolute Dunkelheit meine Augen zu blenden und ließ mich alles Vorhandene lediglich schemenhaft erkennen. Während ich mich langsam in den Raum hinein tastete, erkannte ich weitere Engel, die über das ethische Bewusstsein der sündigen Menschheit wachten. Im Gegensatz zu den Engeln unten waren diese hier allerdings schwarz. Schienen sie in Anlehnung der Farbe hier oben sehr viel mehr Arbeit leisten zu müssen, fragte ich mich und kicherte voller Begeisterung in mich hinein. Unterdessen ich mich weiterhin neugierig umschaute, führte mich Fabrizio zu einem Separee. Kurz bevor ich mich zu ihm gesellte, erkannte ich in dem unmittelbar daneben gelegenen Umrisse einer Frau, die auf einem flachen, podestartig angelegten Tisch tanzte. Ihr Antlitz, in der auflösenden Dämmerung immer deutlicher wahrnehmbar, rekelte sich vor mehreren Männern, die erotisiert auf ihren Körper starrten. Sie trug High Heels. Mehr nicht. Verführerisch bewegte sie ihre langen blonden Haare zur Musik und animierte das Publikum voyeuristischer Natur, die mit ihren weit aufgerissenen, leuchtenden Augen ausnahmslos auf die Vollkommenheit weiblicher Ästhetik starrten.