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Russisches Roulette /// Provokation romantischer Art (1/2)

„Ich treffe mich heute Nachmittag mit einer Jugendliebe.“
Neugierig blickte ich auf.
„Ok?“
„Obwohl das alles schon sehr lange her ist, gratuliert er mir noch immer jedes Jahr zum Geburtstag.“
„Du hattest doch schon letzte Woche Geburtstag?“
„Und an diesem Tag hat er sich auch bei mir gemeldet. Es ist nur so, dass wir uns kurz danach einmal treffen.“
Stille.
„Nur so?“


„Nur so.“
Stille.
„Hast Du etwas dagegen?“
Ich dachte nach.
„Er gratuliert Dir noch immer jedes Jahr zum Geburtstag?“
„Ja.“
„Und zwischendurch?“
„Nichts.“
„Er ruft Dich einmal im Jahr an, worauf ihr euch einmal trefft, um euch anschließend wieder für ein Jahr aus den Augen zu verlieren?“
„Genau so ist es. Hört sich verrückt an, oder?“
„Irgendwie schon. Und weshalb Jugendliebe?“
„Weil wir damals ineinander verliebt waren?“
„Wie lange?“
„Weiß ich noch nicht. Wir wollten uns 15 Uhr treffen.“
„Nein. Wie lange ihr ineinander verliebt wart.“
„Zwei Wochen.“
Stille.
„Weshalb so kurz?“
„Weil er mit seiner Mutter und ich mit meinem Vater im Urlaub waren und wir uns dort kennengelernt haben.“
„Und danach?“
„Komme ich zu Dir.“
„Nein. Was passierte nach diesen zwei Wochen?“
„Können wir morgen darüber sprechen? Ich habe gerade sehr wenig Zeit.“
Nachdem das Telefonat beendet war, begann ich mich zu fragen, welch eigenartige Charakteristik ihrer Bekanntschaft zu Grunde lag. Nicht das es meiner Vorstellungskraft entbehrte, ungewöhnlich war ihre Verbindung dennoch.
 
 
„Wie war euer Treffen?“, fragte ich sie nachdem wir uns am nächsten Tag wieder sahen.
„Schön.“
„Schön? Mehr nicht?“
Stille.
„Was empfindest Du eigentlich heute noch für ihn?“
„Kann ich gar nicht so genau sagen. Eine Art Verbundenheit, etwas das sich so anfühlt, als ob wir uns schon ein ganzes Leben lang kennen?“
„Und nach diesen zwei Wochen?“, setzte ich einer Erklärung auf den Grund gehend wiederholt an.
„Was meinst Du?“
„Aus den Augen aus dem Sinn?“, gab ich ihren fragenden Blick wieder zurück.
Stille.
„Interessiert es Dich überhaupt nicht, zu erfahren, weshalb nie mehr aus euch wurde?“
„Darüber habe ich irgend wann nicht mehr nachgedacht.“
„Habt ihr in all den Jahren nicht noch einmal darüber gesprochen?“
„Gesprochen haben wir darüber noch nie.“
„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Auch nicht damals im Urlaub?“
„Es hatte sich einfach nicht ergeben und wenn Du einen Menschen nach einem Jahr wieder sieht, fängst Du doch nicht gleich damit an, über Deine Gefühle zu sprechen.“
„Woher wusstest Du denn, dass er auch in Dich verliebt war?“
„Kann ich Dir nicht genau sagen. Ich wusste es eben.“
„Ich möchte Dir die Illusion ungern nehmen, aber kann es auch sein, dass Du Dir seit damals lediglich etwas vormachst?“
„Manchmal reicht es, wenn man nur fühlt, dass man einander liebt.“, wendete sie sich plötzlich von mir ab.
„Über was habt ihr euch zum Beispiel gestern Nachmittag unterhalten?“
„Was im Leben des anderen das Jahr über passiert ist. Wie es uns geht.“
„Und dabei kam Dir nicht einmal in den Sinn, über diese Verbundenheit zu sprechen?“, das Wort Verbundenheit wohl etwas zu theatralisch betont. Ohne darauf zu antworten, verließ sie plötzlich den Raum.
 
 
Ihre Liebe schien, gerade weil sie auch heute noch dermaßen an ihr festhielt, noch immer in ihrem Kopf zu existieren und begann mich zu fragen, wie stark diese Liebe heute noch war. Das sie den Raum verlassen und das Gespräch abrupt beendet hatte, hatte mir gezeigt, dass ihrer womöglich gegenseitigen, nie offenbarten Liebe auch heute noch eine gewisse Verbindung zu Grunde lag und überlegte, wie sehr ich ihr mit meinen Worten zu nahe getreten war.
Wie stark war diese Liebe damals wirklich gewesen und was bedeutete es, diese Liebe, wenngleich sie heute nur noch von einer Art Verbundenheit sprach, auch heute noch zu spüren?
Ich erinnerte mich an meine Jugendzeit und daran, dass ich zwar ebenso wie sie eine Jugendliebe hatte, seit dem jedoch keinen Kontakt mehr zu ihr unterhielt.
Als sie wenig später wieder das Wohnzimmer betrat, grinste ich sie herausfordernd an. Ich liebte ihre zusammen gekniffenen Augen, wenn sie sich über etwas im Guten ärgerte. Dieses Mal blieben sie allerdings aus.
 
 
„Wäre es in Ordnung, wenn ich ihn am Wochenende noch einmal treffe?“, begann sie das Gespräch wieder aufzunehmen.
Verwundert darüber, weshalb es entgegen ihrer Gewohnheit so schnell zu einem zweiten Treffen kommen sollte, schaute ich sie an.
„Solange es dann auch bei diesem zweiten Treffen bleibt.“
Als sie daraufhin zu mir schaute, grinste ich sie erneut provokativ an.
„Hör auf!“, fauchte sie mich an.
Stille.
„Mir scheint, als ob es ein Rätsel gibt, dass endlich gelöst werden möchte.“
„Was meinst Du mit Rätsel?“
„Die Gewissheit, ob er auch wirklich in Dich verliebt war und zu erfahren, weshalb nicht mehr aus euch wurde.“
Stille.
„Hattet ihr Sex?“
„Nein und selbst wenn, was spielt das heute noch für eine Rolle?“
„Möchte man es nicht gerade in diesem Alter so richtig wissen?“
Ich spürte, wie ihre Ungeduld immer mehr aufblühte.
„Du hattest bestimmt schon damals diesen geilen Arsch!“
Stille.
„Vielleicht ist er ja schwul?“, versuchte ich weiterhin an ihrem Gleichgewicht zu zerren.
„Hör auf, so zu reden. Es war keine Liebe dieser Art. Es war meine erste Liebe. Eine solche kann auch ohne Sex tausend mal aufregender sein, als es eine mit Sex je sein kann und abgesehen davon finde ich es unglaublich verletzend, dass Du diese unschuldige Verbindung gerade mit Deinen verdorbenen Phantasien einfärbst!“
„Das einzige das sich in meiner Phantasie gerade einfärbt, ist die Gewissheit, dass ich mich mit dieser Ungewissheit nicht abgefunden hätte. Das ich ihn in all den Jahren definitiv gefragt hätte, ob er auch in mich verliebt war, womöglich heute noch ist.“
Unsicher blickte sie auf.
„Weshalb meldet er sich wohl jedes Jahr aufs Neue und fragt Dich, wie es Dir geht? Gratulierst Du ihn auch zu seinem Geburtstag?“
Angestrengt atmete sie auf.
„Du verstehst das einfach nicht. Die Zeit hat damals einfach nicht ausgereicht, um darüber zu sprechen.“, schloss sie ihre bisherigen Antworten nachdenklich ab.
„Mag sein, doch das erklärt nicht, weshalb ihr es in all den Jahren nicht nachgeholt habt.“
Ohne die nun einsetzende Reaktion in irgend einer Form bewusst provoziert haben zu wollen, spürte ich mit einem Mal tatsächlich, wie sich dieser Gedanke einer Luftblase gleich auf verdorbene Weise immer stärker einfärbte und an die Oberfläche drang.
„Oder nicht?“, hörte ich sie plötzlich sprechen und bat, ihre Worte noch einmal zu wiederholen.
„Ach vergiss es!“, sprang es aus ihr heraus.
 
 
Die einhergehende Erregung unbemerkt lassend, zog ich mich erneut gedanklich zurück und spekulierte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er dem Wunsch nach Intimität womöglich heute noch entsprach. Hatte auch er sich in all den Jahren einfach nicht getraut oder basierte ihre Liebe seit Beginn an wirklich nur auf Freundschaft? Waren Liebe und Freundschaft demnach gleich auf oder überwog das eine das andere? Funktionierte Liebe oder Freundschaft oder was es auch immer war überhaupt ohne Sex? Ich wusste, dass diese Frage bereits seit langem diskutiert wurde, doch gab es mittlerweile eine Antwort? Das sie mir vorwarf, ihre Verbindung mit meinen verdorbenen Phantasien einzufärben, lag einer ehrlichen Natur oder trügerischen Hoffnung zu Grunde? Nämlich der, ähnlich der Legitimation des äußerst knappen Bikinis im Schwimmbad, einem gewissen Einvernehmen in Bezug auf meine ach so verdorbene Natur entgegenzusehen?
War ich wirklich so verdorben wie sie sagte oder blickte ich trotz meiner Befangenheit lediglich mit der Sicht eines Außenstehenden auf sie und erkannte, dass sie etwas begleitete, dass sich lohnte, endlich zu verstehen?

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