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Märzgeburt /// Konturen zweifelhafter Moral (2/2)

Zweifel begannen mich davon zu tragen und meinen Kopf mit unzähligen Gedanken zu füllen. Mein Interesse an dieser Begegnung brach abrupt ab. Den Blick fortan nach draußen gerichtet, spürte ich, wie ich mich aus meiner teilnehmenden Rolle langsam löste und eine Sichtweise betrat, die einer dritten Person gleichkam. Ich betrachtete mich mehr und mehr mit den Augen einer Außenstehenden und schaute auf eine Frau, die sich gerade einem vollkommen fremden Mann auf eine unwiderruflich pietätlose Art mitgeteilt hatte.
Diesem fremden Ich vertrauensvoll entgegen wendend, hoffte ich auf eine Art Richtungsweisung, die mich aus dieser Situation befreien konnte, spürte ich mit einem Mal diese vertraut wirkende Resignation und die damit einhergehende Übelkeit.


Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich mich in meinem immer wiederkehrenden Spiel verlor und sah mich genau dieser Erkenntnis ausgeliefert. Ich sah mich in einem Raum, die Wände immer dichter kommend. Der Reiz des Spiels wich einer klaustrophobischen Panik und ließ mich, wie von Geisterhand geführt, mein gegenwärtiges Leben betrachten. Ich suchte die rettende Tür. Die Konturen eines Fensters. Vergeblich. Warum ließ ich mich immer wieder darauf ein? Warum verfiel ich immer der gleichen Art Kommunikation? Je mehr sie mich anfangs erregte, desto mehr spürte im Nachhinein diesen Hass.
Für mich gab es keine Bewertung. Kein Gut. Kein Böse. Für mich gab es nur diese Angst. Die Angst, die sich langsam aufbäumte und meinen Geist durchbohrte. Sich diesen Spielen zu entziehen, bedeutete gleichermaßen, sich auch meiner Existenz zu entziehen.
Ich wusste, dass ich mich jedem Zwang fügen konnte und was das Schlimme war, auch fügen wollte. Es war meine Art der Bestätigung, meine Art zu fühlen, anerkannt und geliebt zu werden. Ich dachte plötzlich an meinen Freund, an diese Frau und an meine Eifersucht, die im selben Moment intervallartig durch meine Adern schoss.
 
 
„Bist Du sicher, dass Du keine Nutte bist?“, sprach er plötzlich in die Stille. Für ihn schien diese Ungewissheit derart viel Gewicht zu besitzen, dass er sich der Wirksamkeit offenbar nur zu gern entledigen wollte. Ich schaute ihn nicht an, sondern blieb meinem abwendenden Blick treu.
„Ich bin keine Nutte.“, versuchte ich ihn davon zu erlösen.
„Ich habe Dir gerade einen geblasen, weil ich es aus freien Stücken heraus wollte, nicht weil ich mich für diesen abscheulichen Wein revanchieren wollte, geschweige denn, weil Du mich in irgend einer Hinsicht auch nur im Entferntesten interessierst.“, begegnete ich ihm die Worte zum Ende hin immer leiser gesprochen.
Die Außenwelt zog blitzschnell an mir vorbei. Von dieser Welt da draußen isoliert, drückte ich mich nach Halt suchend in die Rückenlehne und versuchte, mich auf jedes vorbei ziehende Detail zu konzentrieren. Viel zu schnell flimmerte die Welt hinter den Fensterscheiben an mir vorüber. Meine Konzentration verlor sich in den suchenden Blicken. Einzelne Umrisse blieben. Vereinzelt sah ich Baumkronen. Die Fassaden der Altbauten. Menschen.
„Zeigst Du mir noch Deine Pussy?“
Der Frage einer Forderung gleich öffnete ich den von unten beginnenden Reißverschluss meines kurzen Latexkleides und spreizte die Beine. Unterdessen er sich an dem Bild meiner vollkommenden Nacktheit schier unersättlich aufgeilte, neigte ich den Kopf zur Seite und versuchte die bruchstückhaften Bilder und fehlenden Fragmente der Wahrnehmung mit meiner Phantasie zu ersetzen. Ich schmeckte noch immer diesen grässlichen Wein, sein Sperma.
Viel zu langsam vervollständigte sich die eine oder andere Vorstellung in meinem Kopf, nur um augenblicklich später wieder zu verblassen und das nächste, vorbeiziehende Bild zu verpassen. Meine Augen begannen zu schmerzen und so beschränkte ich mich auf oberflächlichere Merkmale. Schaute auf Bäume, die keine Blätter mehr trugen, auf dunkle Sonnenstrahlen, die ihre beeindruckende Schönheit hinter einer Wolkendecke verbargen, auf Häuserfassaden, die allgegenwärtiges Grau reflektierten. Ab und zu fand sich ein Laubblatt, tanzte im Schatten des Himmels und verpasste dem Bildnis eine Art nie einkehrende Ruhe. Ich begann zu frieren.
Als wir angekommen waren, nahm ich hastig meine Sachen und verschwand.

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