Nachdem ich dem Taxifahrer gesagt hatte, wohin ich wollte, drehte er sich zu mir um und schaute mich fragend an.
„Und in welches Maja darf ich Sie fahren?“
Verblüfft schaute ich zu ihm zurück.
„Wenn ich ehrlich bin, kann ich ihnen das gar nicht sagen.“
„Jordaan oder Suid Oost?“
Ich wusste nicht, dass ich vor diese Entscheidung gestellt werden konnte und hatte diese Frau am Telefon deshalb auch nicht danach gefragt.
„Welches Maja würde wohl am besten zu mir passen?“, versuchte ich zu improvisieren.
Der Taxifahrer begann mich zu mustern.
„Irgendwie beide.“
Er begann zu schmunzeln.
„Was unterscheidet denn beide Lokale?“
„Das Maja in Suid Oost ist ein Restaurant. Das in Jordaan eine Kneipe für Biker.“
„Eine Kneipe? Wie um alles in der Welt kommen Sie darauf, dass ich in eine Kneipe möchte? Abgesehen davon, welcher Biker benennt sein Lokal nach einer Biene?“
„Biker, die nur auf Biker stehen.“
Er schmunzelte erneut.
Wir waren etwa zehn Minuten unterwegs, als mir überaus warm wurde.
„Ist Ihnen kalt?“, erkundigte ich mich bezüglich der immer unangenehmer werdenden Hitze.
„Ja.“, gab er kurz von sich. Negiert schlug ich ein Bein über das andere und wandte mich von ihm ab. Mein Blick erfasste das flankierende Wasser. Wie sehr ich das Bild schwarz funkelnder Wellen liebte und begann, mich in den Bewegungen zu verlieren.
Die stickige Luft im Taxi raubte mir allmählich den Atem. Ohne ihn erneut in meine Entscheidungsfindung einbeziehen zu wollen, öffnete ich mein Fenster und atmete tief ein. Erlösender Wind schoss mir ins Gesicht.
„Interessantes Kleid, das Sie da tragen.“, riss er mich plötzlich aus dem Empfinden.
„Vielen Dank.“, gab ich verlegen zurück und schaute ihn an. Mir sicher, seinem Interesse nichts entgegen setzten zu wollen, wechselte ich meinen Blick wieder Richtung Kanal.
Stille.
„Was macht es eigentlich so interessant?“
„Das Material und das Sie damit noch attraktiver aussehen, als Sie ohnehin schon sind.“
„Sie mögen Latex?“
„Sehr!“
„Ein Fetisch?“
„Kann man so sagen.“
Mit seiner Offenbarung erwachte mit einem Mal der Wunsch, seiner Neugier weiter auf den Grund gehen zu wollen. Nicht weil mir sein Kompliment missfallen hatte, lediglich deshalb, weil ich herausfinden wollte, wie weit ich mit diesem Mann gehen konnte.
„Weil es gewisse Reize auslöst.“, tastete er sich weiter heran.
„Reize? Wohl eher Hormone!“, antwortete ich und schmunzelte über seine beginnende Nervosität.
„Attraktiv sagen Sie? So attraktiv, dass Sie mich zu einer Männerkneipe fahren wollten?“
„Ich finde, dass sich schwule Männer sehr oft in der Gesellschaft attraktiver Frauen befinden und dass sich beide Komponenten alles andere als widersprechen.“
„Hört sich so an, als ob Sie Erfahrung haben?“, gab ich in der Gewissheit wieder, dass vor mir alles andere als eine Schwuchtel saß und grübelte über das Wort Komponente.
„Wenn Sie mich jetzt hier sitzen sehen, hier in ihrem Auto, in diesem Kleid, welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?“, versuchte ich ihn weiter herauszufordern.
„Sie möchten wirklich wissen, was ich gerade über sie denke?“
„Möchte ich. Ganz offen. Ohne Hintergedanken.“
„Hintergedanken wären in diesem Falle nicht ausgeschlossen.“, warnte er mich mit einem Schmunzeln, das mich zum Lachen brachte.
„Ach kommen Sie, raus mit der Sprache.“, bettelte ich auf meine berechnend naive Art.
„Wo wir uns doch schon die ganze Zeit über Ihren Fetisch unterhalten.“
„Ist es wirklich nur meiner? Schließlich befindet sich das Latex auf Ihrer Haut.“
Stille.
„Darf ich wirklich ganz offen sein?“, setzte er fort.
„Ja, dürfen Sie. Herr Boon“, antwortete ich, unterdessen ich auf die auf dem Armaturenbrett befestigte Legitimation seiner Dienstleistung schaute.
„Das ich Sie in diesem Kleid sehr attraktiv finde, habe ich Ihnen bereits gesagt.“
„Ja, das haben Sie. Weiter. Was denken sie noch?“
„Ich frage mich gerade, ob sie mit mir etwas trinken gehen würden. Nicht das ich mit einer Zusage rechne, doch die Frage nach einer Verabredung schwirrt genau so in meinen Gedanken, wie der Punkt, dass ich Sie sehr attraktiv finde, womit ich mich wohl wiederholt hätte.“
„Das haben Sie.“, gab ich etwas gelangweilt zurück.
„Warum rechnen Sie mit einem Korb? Glauben Sie wirklich, dass Sie einen erhalten?“
„Ich befürchte schon.“, gab er mir glaubhaft zu verstehen.
„Ich bin Taxifahrer und wohne in einer kleinen Wohnung am Rande Amsterdams. Weshalb sollten Sie sich mit mir auf etwas einlassen?“
Er ließ das Gespräch abrupt beenden und mich einen kurzen Moment über seine ehrlichen Worte sinnieren. Obschon seinen Worten eine gewisse Resignation zu Grunde lag, hatte ich nicht vor, es dabei zu belassen.
„Ich kann sie beruhigen. Heute Abend hat selbst ein Achtzehnjähriger nach meiner Telefonnummer gefragt.“
„Und? Haben Sie sie ihm gegeben?“
Prüfend schaute er mich über den Rückspiegel an.
„Würden Sie mich für verrückt halten, wenn ich ja sage?“
Stille.
„Wie definieren Sie eigentlich sich auf etwas einlassen? Sie sprachen eben davon, dass Sie gerne etwas mit mir trinken möchten, nicht, dass Sie mich anschließend auch mit zu sich nach Hause nehmen wollen.“, versuchte ich ihn von seinen nach wie vor nervösen Blicken zu erlösen.
„Dann besteht also Hoffnung?“
„Was genau finden Sie an mir attraktiv?“, ignorierte ich seine Frage.
Mit abschätzendem Blick starrte er mich an. Er war im Begriff eine Schwelle zu übertreten. Eine Schwelle zu einem Raum, in dem ich mich bereits befand. Die Art wie er mich in diesem Moment über den Rückspiegel anschaute, zeigte mir, dass er diese Schwelle intuitiv wahrgenommen hatte und nun überlegte, ob er eintreten sollte oder nicht.
„Warum möchte eine Frau wie Sie, von einem Mann wie mir erfahren, wie sie auf ihn wirkt?“
Um den einsetzenden Moment der Verlegenheit zu überstehen, ließ ich etwas Distanz aufkommen und schaute wieder nach draußen.
„Sie machen mir Komplimente, ohne dass ich Sie darum gebeten habe.“, betonte ich vorwurfsvoll, während ich auf die vorbeiziehenden Straßenzüge blickte. Die Tür zwischen uns schien jeden Moment zuzufallen.
“Ihre Blicke erinnern mich schon die ganze Zeit an diesen achtzehnjährigen Pagen, der nach meiner Nummer gefragt hat.“, versuchte ich ihn weiter zu disqualifizieren.
„Und?“
„Was und?“
„Wie haben sie seine Blicke empfunden?“, ignorierte er den Versuch. Zurückhaltung folgte auf Zurückhaltung, ohne dass mir die Anspielung auf seine verborgen blieb.
„Es ist rot.“, reglementierte ich seine Frage und registrierte augenblicklich später sowohl die Kraft der einsetzenden Bremsen, als auch das wiederholte Hupen des hinter uns befindlichen Gefährts.
Er schaute angestrengt nach vorne. Das Rot einer Ampel war nirgends zu erkennen. Wütend starrte er in den Rückspiegel und trat mit voller Wucht auf’s Gas. Ich biss mir auf die Unterlippe und kicherte in mich hinein.
„Ihre Beine gefallen mir.“, versuchte er sich anscheinend zu revanchieren.
„Die haben sie doch noch gar nicht richtig gesehen!“
So unverbindlich ich seinen Worte bisher gefolgt war, so unverhofft schnell wuchs plötzlich der Reiz in meinem Schritt.
„So häufig wie sie mich die ganze Zeit anstarren vielleicht ja doch.“, setzte ich flüsternd fort.
„Ich hoffe, dass Sie meine Blicke nicht als störend empfinden.“, antwortete er plötzlich verunsichert.
„Störend? Wie interpretieren sie denn unser gegenwärtiges Gespräch? Auch als störend?“
„Nein, aber ich verstehe nicht, wohin das Ganze hier führt?“
Das meine Intension in einem unaufrichtigen Spiel verankert war, wusste ich, offenbaren wollte ich es ihm jedoch nicht. Egoistin die ich war, sah ich in ihm eine Chance, in Anlehnung des kommenden Abends meine Moral entsprechend vorzubereiten. Mehr nicht.
„Sind Sie eine Nutte?“, fragte er mich mit einem Mal. Ich ließ einige Sekunden verstreichen, bevor ich ihm antwortete.
„Vielleicht? Was wäre, wenn ich eine bin? Würden Sie mich buchen?“, schmetterte ich den Ball der Provokation zurück. Wieder verging etwas Zeit.
„Ich denke schon.“
„Sie denken schon oder Sie wissen schon?“
„Ich befürchte, dass ich sie mir nicht leisten könnte.“
„Was wäre ich Ihnen denn wert?“, antwortete ich seiner wiederholt resignierenden Art keine weitere Beachtung schenkend.
Mit starr auf die Straße gerichtetem Blick, begann er zu kalkulieren.
„Einhundert?“
„Einhundert für was?“, fragte ich von dieser lächerlichen Summe überrascht.
„Für eine Stunde?“, fragte er verunsichert, ganz so, als ob ich Gefahr lief, mich unter Wert zu verkaufen.
„Sie würden einhundert Euro zahlen? Einhundert, damit ich mit ihnen ficke? Für Einhundert würde ich sie nicht einmal küssen!“
In dem Moment, in dem er mich erneut über den Rückspiegel anschaute, wendete ich meinen Blick wieder von ihm ab und schaute nach draußen.
„Sie möchten mit mir etwas trinken? Dort vorne ist anscheinend eine Bar. Lassen Sie uns dort etwas trinken.“
Überrascht drehte er sich um.
„Ist das Ihr ernst?“
„Bitten Sie Frauen immer erst darum, mit ihnen etwas trinken zu gehen, nur um die Einladung gleich darauf wieder in Frage zu stellen? Fahren Sie dorthin und lassen Sie uns etwas trinken.“