Kaum hatte ich den edlen Glanz des Marmors in seiner gesamten Anmut erfasst, richtete ich meinen Blick nach oben und erfasste die schier atemberaubende Architektur. Riesige Kristallleuchter schienen auf Grund der nahezu unsichtbaren Befestigungen im Raum zu schweben und das gewölbeartige Kuppeldach mit ihrer Leuchtkraft einzunehmen. Als ich meinen Blick wieder senkte, entdeckte ich zudem unzählige Barockmöbel, die meinem neuen Zuhause abschließend eine königingleiche Aura verliehen.
Ich war von diesem Hotel begeistert und ließ es meinem Freund mit einem flüchtigen Kuss wissen.
„Wie lange brauchst Du noch.“, fragte ich ihn.
Anstatt auf meine Frage einzugehen, ließ er mich scheinbar ungehört neben sich stehen.
„Wie lange brauchst Du noch?“, sprach ich erneut in seine Richtung. Ohne auch dieses Mal eine Antwort zu erhalten, begann ich mich stillschweigend zu entfernen.
„Bleibe an meiner Seite.“, hörte ich ihn schließlich sprechen, kurz nachdem ich einen Fuß vor den anderen gesetzt hatte.
„Dann sage mir doch endlich wie lange Du noch brauchst oder verrate mir wenigstens die Nummer der Suite.“, prasste es aus mir heraus. Wie sehr ich mittlerweile seine auf mich bezogene Erhabenheit liebte. Mit überdrüssigem Blick wandte ich mich vollends ab und schlenderte zur hauseigenen Galerie. Vor den Schaufenstern des Juweliers blieb ich stehen. Meine schwimmenden Augen begannen dem funkelnden Sortiment entgegen zu blinzeln, ohne dabei auch nur ein einziges Schmuckstück anzusehen.
Kaum hatte ich auf einer wunderschönen Recamiere Platz genommen, trat eine junge Hotelangestellte an mich heran.
„Herzlich Willkommen im De l’Europe. Mein Name ist Klara und ich möchte Sie gerne in ihre Suite bringen.“
Mit einer freundlichen Geste deutete sie mir den Weg. Ihr Akzent verriet eine gewisse Fremde und überlegte woher.
„Hatten Sie eine entspannte Reise?“, fragte sie mich, unterdessen ich das majestätisch anmutende Foyer abermals durchschritt.
„Hatte ich.“
„Darf ich fragen wo genau diese Reise begann?“
„In Berlin.“
„Dann waren Sie sicher sehr lange unterwegs.“
„Mit dem Mietwagen vom Flughafen direkt ins Hotel.“
In dem Moment in dem ich sie anschaute, lächelte sie mich an. Ich versuchte herauszufinden, wie aufrichtig ihr Interesse war und schaute sie weiterhin an.
„Kommst Du aus Amsterdam?“, versuchte ich sie zu testen und unsere förmliche Art zu relativieren.
„Nein.“, entgegnete sie mir nach einer kurzen Pause.
„Aus Barcelona.“
„Barcelona?“, wiederholte ich überrascht.
„Ich habe eine spanische Mutter, die mit meinem holländischen Vater in Barcelona lebt. Vor ein paar Jahren bin ich nach Amsterdam gezogen, um die Heimat meines Vaters kennen zu lernen.“
„Allein?“
„Ganz allein.“
„Hast Du dir schon ein Bild davon gemacht, wo du später leben möchtest?“, versuchte ich ihre Lebensgeschichte mehr und mehr zu ergründen.
„Ich möchte bald wieder zurückgehen und in Spanien leben. Ich kenne Spanien lediglich als Kind und möchte all meine Erinnerungen noch einmal erleben. Erwachsen. Mit Abstand. Ich denke erst dann kann ich entscheiden, wo ich mich endgültig niederlassen möchte. Sofern es dann überhaupt diesen einen Ort gibt. Schließlich trage ich beide Kulturen in meinem Herzen und bin noch dazu mit einer Berufung ausgestattet, die es mir erlaubt, sowohl in Spanien, als auch hier, als auch überall sonst auf dieser Welt zu leben.“
Ihr mittlerweile lächelndes Antlitz strahlte mich regelrecht an und suchte nach einer Bestätigung. Anstatt ihrer Erwartung gerecht zu werden, starrte ich wie gebannt in ihre leuchtenden Augen. Ich erkannte in ihnen so viel Stolz und Zukunft, dass mir unverhofft Tränen in die Augen schossen.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.
„Ja.“
Verlegen lächelte ich sie an.
„Hättest Du Lust, mir Amsterdam zu zeigen?“
„Wie lange bleibst Du?“, antwortete sie, unterdessen sie die Suite öffnete.
„Ich weiß es noch nicht. Ein paar Tage werden es sicher. Kommt ganz darauf an, wie lange mein Freund hier in Amsterdam zu tun hat.“
„Das ist Dein Freund?“, fragte sie offensichtlich in der Verwunderung, die Möglichkeit, dass es sich bei dem Mann in der Lobby um meinen Freund handelte, erst jetzt in Erwägung zu ziehen.
„Entschuldige bitte!“, setzte sie ihrer Frage mit hochrotem Kopf an.
„Schon ok.“, gab ich in der Hoffnung wieder, das Thema damit endgültig auf Eis legen zu können.
Nicht ihre wortbestimmte Zurückhaltung führte zur Erfüllung meines Wunsches, sondern ihre Unternehmung, mit ihrer urplötzlich auftauchenden Verlegenheit umzugehen. Gebannt hielt sie inne und schaute an mir vorbei.
Als ich ihrem Blick folgte, erkannte ich meinen Verehrer, der mit einem Mal hinter uns stand und stillschweigend das Gepäck ankündigte.
Ohne das Gespräch auch nur mit einer Silbe fortzuführen oder zu beenden, verließ sie die Suite. Über ihr abruptes Gehen enttäuscht, schaute ich ihn verärgert an.
„Darf ich euch begleiten?“, begann er meine Verdrossenheit eher zu verstärken, denn aufzulösen.
„Begleiten? Wohin?“
„In das Amsterdamer Nachtleben.“
„Wie kommst Du denn bitte darauf?“
„Ich habe euch zugehört.“
„Du hast uns belauscht?“
„Nicht belauscht. Zugehört.“
„Bist Du denn überhaupt schon reif genug für das Nachtleben?“, versuchte ich mich für seine heranschleichende Art zu revanchieren.
„Selbstverständlich!“, antwortete er kurz.
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“, war das Einzige, womit ich ihm begegnen konnte. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Noch im selben Moment bereute ich diese Worte und ärgerte mich über meine Schlagfertigkeit.
„Apropos vielleicht. Ich kenne ein paar coole Bar‘s. Wenn Du Lust hast, dann…?“
„Du möchtest allen ernstes ein Date mit mir?“, unterbrach ich ihn mit gewellter Stirn. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich vor kurzem noch mit seiner Unsicherheit gespielt. Und nun? Keine Spur mehr von Schüchternheit und dem Jungen, der noch vor Kurzem von einem Rotton in den nächsten gewechselt war.
„Wie alt bist Du eigentlich?“, fragte ich ihn in der Gewissheit, diesen Menschen offenbar mehr als unterschätzt zu haben.
„Achtzehn.“, antwortete er.
„Achtzehn? Du siehst jünger aus.“, versuchte ich ihn weiter zu provozieren.
„Und Du?“
„Sechsundzwanzig.“, gab ich zurück und hoffte auf die längst überfällige Resignation.
„Siehst älter aus.“, argumentierte er meine Skepsis mit einem Lächeln zunichte.
„Du hast schon mitbekommen, dass ich mit meinem Freund hier bin?“, warf ich ihm schmunzelnd entgegen.
„Das ist Dein Freund?“, spielte er den Ball mit einem bedauernswerten Blick zurück.
Ich wurde verlegen, doch anstatt sein Auftreten zu kritisieren, lachte ich laut los. Ich besaß das Gefühl, ihn mit meinen Worten lediglich zu stimulieren. Seine anfänglich schüchterne, beinahe schon verklemmte Art wollte rein gar nicht zu seiner nunmehr selbstbewussten Natur passen. Meinen Worten schloss sich sofort ein Konter an, der mir den Wind aus den Segeln nahm.
„Bekomme ich Deine Telefonnummer?“
„Nein.“, schoss es aus mir heraus.
„Aber Du kannst mir Deine geben. Wenn ich Lust habe, melde ich mich bei Dir.“, antwortete ich in dem Bestreben, seine Hoffnung zwar weiterhin aufrecht erhalten, seinem Werben jedoch definitiv ein Ende setzten zu wollen.
Nachdem er mir seine Nummer schließlich gegeben hatte, schob ich ihn aus der Suite. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, lehnte ich mich gegen sie und ließ unser Gespräch Revue passieren. Ich wusste nicht, ob ich mich bedauern oder ihn für größenwahnsinnig erklären sollte. Eines wusste ich jedoch mit Sicherheit. Seine Nummer landete in Kürze im Nirgendwo.
Ich begab mich ins Bad und ließ Badewasser ein. In dem Moment, in dem ich das Badezimmer wieder verließ, stieß ich mit voller Wucht gegen meinen Freund. Ich bekam einen derart großen Schreck, dass ich laut aufschrie.
„Was machst Du denn hier?“, begegnete ich ihm vorwurfsvoll.
„Entschuldige bitte, aber das hier ist auch meine Suite.“, antwortete er.
„Ja, leider.“, gab ich prompt zurück. Noch im selben Moment bedauerte ich diese Worte. Schweigend lief ich mich ins Bad und schloss mich ein. Begleitet von großer Übelkeit stieg ich in die Wanne und tauchte ab.