Einen Moment lang hielt ich inne. Warum war es mit einem Mal so still? Im Geiste ging ich die Empfindungen durch, die sich geändert zu haben schienen. Die leisen Vibrationen waren verstummt. Waren wir endlich angekommen? Ich öffnete meine Augen, doch anstatt auf die vertraute Person an meiner Seite zu blicken, schaute ich ins Leere. Neugierig spähte ich umher. Wo war er?
Die Antwort tauchte unvermittelt in mein Bewusstsein. Der Wagen stand vor dem De l’Europe. Er hatte es bereits auf der Fahrt sehr malerisch umschrieben. Die Realität wirkte jedoch wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht. Das Hotel lag am Amstel River, einem für Amsterdam so typischen Wasserkanal. Ein Haus, welches sich der Kategorie Luxus verpflichtet hatte und im Stile eines Schlosshotels erbaut wurde.
Buchsbäume unterschiedlichster Formen und Größen zierten den Eingangsbereich. Säulen wanderten den Eingang empor und hinterließen am Boden tausende Pflastersteine, die das Entree vor dem Hotel vollendeten. Blitzartig schaute ich auf meine Pfennigabsätze und verzog das Gesicht.
Als ich wieder nach vorne schaute, erkannte ich einen Pagen, der unaufhörlich in meine Richtung starrte. Meine indiskrete Neugier weitaus dezenter gestaltend, klappte ich meine Sonnenblende herunter und wanderte mit meinem Blick in den Spiegel. Ich begann nach ein paar kosmetisch zu korrigierenden Feinheiten zu suchen, nach irgendetwas, das diese schon seit geraumer Zeit anhaltende Zerschlagenheit verbannte.
Als ich erneut nach vorne schaute, sah ich, dass die Blicke des Pagen noch immer auf mich gerichtet waren. Die getönten Fenster das Wagens machten es ihm zugegebener Maßen nicht gerade leicht, das Verborgene im Inneren zu erkennen, dass er dennoch nicht von seinen mit Neugier erfüllten Blicken wegzubekommen war, verwunderte mich mehr und mehr. Was wenn er an jemanden geriet, der diese Art von Aufmerksamkeit als zu aufdringlich empfand? Mein Blick begann zwischen meinem Spiegelbild und ihm hin und her zu wandern.
Seine Aufmerksamkeit schien ins Unermessliche zu steigen und ihn in eine Erwartungshaltung stürzen, die einem begierigen Verehrer gleichkam. Meine Augen begannen ihn mehr und mehr zu mustern. Etwas aufdringlich aber nicht störend nahm ich die Blicke dieses jungen Mannes war und begann zu schmunzeln.
„So wie Du aussiehst, bist Du ganz schön jung und so wie Du schaust, ganz schön neugierig.“, flüsterte ich vor mich hin.
Meine stetig existierende Eitelkeit befriedigt, richtete ich meine Augen schließlich auf die Make-up Utensilien, die ich im selben Moment wieder in meiner Tasche verschwinden ließ.
Der langen Weile überdrüssig nahm ich mein Handy und wählte seine Nummer. Mit dem ersten Rufton gab ich den Versuch, ihn zu erreichen auf, denn anders als von mir erhofft, ertönte selbiger nicht in seinen, sondern in meinen Ohren. Sobald ich beide Handys in meine Handtasche gesteckt hatte, stieg ich schließlich aus.
„Darf ich Ihnen helfen?“, hörte ich jemanden eiligen Schrittes auf mich zukommen.
„Mach Dir bitte keine Umstände.“, antwortete ich hypothetisch gestellter Fragen überdrüssig. Meine mit Unwissenheit umhüllte Provokation lichtete sich in dem Moment, in dem die entsprechende Person plötzlich neben mir stand.
„Wie meinen Sie bitte?“, entgegnete ein anderer meinen Worten abschätziger Natur. Irritiert wechselte ich meinen Blick zwischen ihm und seinem jüngeren Kollegen.
„Entschuldigung, aber ich dachte, dass…“
Um nicht noch einen weiteren Fauxpas zu erleiden, stoppte ich meine Ausführungen und widmete mich dem Gepäck.
In dem Moment, in dem ich mich Richtung Eingang begab, reagierte sein jüngerer Kollege augenscheinlich mit der Absicht, seine plötzlich auftauchende Nervosität mit einem möglichst teilnahmslosen Ausdruck zu überspielen. Mit starr nach vorne gerichtetem Blick versuchte er der Gegenwart den Hauch einer Fiktion anzuhängen, wobei dieser Versuch auf komödiantisch wirkende Art hoffnungslos kollabierte und ihn immer wieder sprunghaft in meine Richtung schauen ließ.
Erfüllt mit großer Voreingenommenheit schritt ich schließlich an ihm vorbei und ließ mich, ausnahmslos jede Form der Kenntnisnahme leugnend, von seinem älteren Kollegen durch die riesige Drehtür geleiten.
Unterdessen ich die massive Tür passierte, spiegelten sich in ihrem Glas die auf meine Kehrseite bezogenen Blicke des jüngeren Pagen, worauf ich mich blitzschnell umdrehte und ihn vorwurfsvoll anstarrte.
Seine Augen begannen schuldbewusst in alle Richtungen zu springen, beinahe so, als ob er versuchte, an irgendeinem Ort emotionalen Halt zu finden und seine mittlerweile hochrote Gesichtsfarbe zu relativieren.
Doch als ob er sich meines Blickes noch einmal bewusst werden wollte, schaute er kurz darauf erneut in mein Gesicht. Interpretation war das was folgte. Interpretation seinerseits bezogen auf die Ernsthaftigkeit meiner teilnahmslosen Miene und die damit einhergehende Möglichkeit der Legitimation seiner Blicke und Interpretation meinerseits bezogen auf die Standhaftigkeit seiner maskulinen Contenance.
Dem amüsanten Schauspiel keine weitere Beachtung schenkend, wandte ich mich schließlich wieder von ihm ab und betrat das Foyer.